Dienstag, 18. Dezember 2018

Matty und Gigi auf großer Fahrt - Kapitel 10 & 11



10. Eine Spur


"Wo fliegen wir denn hin?" fragte Matty nach einer Weile. Sie hatte die ganze Zeit während des Fluges mit den Händen aufgestütz über den Schlittenrand zum Boden geblickt. Jetzt wandte sie sich Bippy zu.
"Ich folge lediglich der Richtung, die der Schlitten mir vorgibt. Niki hat ihn so justiert. Er sollte uns dorthin führen, wo die letzte Spur deines Brüderchens zu erkennen war."
"Und wenn er da nicht mehr ist?" wollte nun Gigi wissen und stupste Bippy mit der Nase am Ärmel.
"Dann werden wir Spuren suchen müssen. Den Rest macht der Zauberstaub."
Matty schwieg nachdenklich. Als Bippy ihre besorgten und traurigen Augen sah, streckte er eine Hand aus, streichelte sie zwischen den Ohren und sagte beruhigend:
"Wir werden ihn finden, mach' dir keine Sorgen!"
Es war das erste Mal, das Wärme und Zuversicht in seiner Stimme lagen, und Matty sah ihn lächelnd an.
"Na gut. Das alles ist nur etwas zu viel mich."
"Für mich auch," ergänzte Gigi. Sie hockte so gedrungen, das sie nur noch eine einzige Kugel aus Fell zu sein schien. Matty kuschelte sich kurz an sie, doch sie hatte keine Ruhe in sich. Nach einer Weile lehnte sie sich wieder über den Rand des Vehikels und beobachtete den Erdengrund. Sie schwebten mehr, als das sie flogen, und wäre sie nicht so angespannt, wäre dies wohl das Schönste, das sie bisher je erlebt hatte. Doch so konnte sie die Reise nicht genießen.

Es schien schier endlos zu dauern, bis der Schlitten einen leichten Ruck von sich gab. Die Reisegesellschaft mußte sich vor Schreck schnell abfangen, um nicht über die Schlittenfront zu segeln. Dann glitt das Gefährt langsam auf den Boden und hielt inne. Bippy war überrascht. Ganz von alleine hatte der Schlitten dieses Ziel gefunden. Nikis Zauberstaub hatte es in sich, das musste er eingestehen.
Vor ihnen lag ein Haus. Und diesmal war es tatsächlich ein Haus. Die Tür war einen Spalt breit geöffnet, innen war alles duster.
"Dann wollen wir doch mal nachsehen!" sagte Arnton energisch und schritt mit großen Schritten voran. Er hatte die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt. Bippy folgte ihm zwar rasch, doch wesentlich unsicherer.
"Hallo?" rief Arton, kaum das sie zur Tür hereingetreten waren. Matty saß wieder auf seiner Schulter, während Gigi sich entschlossen hatte, bei Frank im Schlitten zu warten.
"Haaaalllloooo!" brummte der Zwerg erneut, mehrmals hintereinander. "Ist wer hier?"
Doch keine Antwort.
"Licht wäre zuträglich," sagte Bippy. Er kramte einen Augenblick in seinen Taschen herum, und zog schließlich eine kleine Lampe heraus. Nicht einfach eine gewöhnliche Taschenlampe, nein, dieses Licht war wie eine Kugel geformt, strahlend hell und wunderschön. Der Schimmer, der davon ausging, schien lebendig.
"Niki hat mir die Kugel gegeben. Eigentlich ist es keine Kugel, es ist ein von den Drachen erschaffenes Energieherz," erklärte Bippy Matty, als er ihren wissbegierigen, fragenden Blick sah. Sie reckte von Artons Schulter aus den ganzen Körper Richtung der Lichtquelle.
"Was ist ein Energieherz?" hakte Matty nach.
"Wie soll ich das erklären?" Bippy kratzte sich am Kinn, dann am Kopf, und sagte nach einer Weile des Nachdenkens: "Die Drachen, die auch das magische Pulver herstellen, haben manchmal überschüssige Energie. Die Drachenenergie kann gebündelt werden, indem sie eine Weile ruhen und diese Energie dann in kleinen Kugeln formen. Bleiben die Kugeln in Kontakt mit etwas, das aus der Weihnachtswelt stammt, ruhen sie. Doch sobald sie die Aura einer anderen Welt erreicht, geben sie ein Leuchten ab. Sie strahlen Energie aus."
"Werden sie auch dunkel?" wollte Matty wissen.
Bippy und Arton, leise lachend, schüttelten den Kopf.
"Drachenenergie kann nie aufgezehrt werden. Sie bleibt auf ewig gebündelt. Nur kommt es manchmal vor, das sie wächst. Denn diese Energiebälle sind Lebewesen, und deswegen werden sie auch 'Herzen' genannt, nicht Kugeln. Nur sprechen sie über ihr Leuchten, nicht mit Worten."
Matty nickte leicht. Sie verstand zwar nicht alles, und von Drachen hatte sie auch noch nie gehört, aber sie glaubte, was Bippy ihr sagte.
Mit bedächtigen aber zügigen Schritten durchschritten sie nun das Haus. Es war noch möbliert, doch alles war voller Schutt und Staub, roch muffig und verwahrlost. Die meisten Utensilien hier waren kaputt, entweder zerbrochen oder zerfetzt.
"Ich rieche was!" rief Matty mit einem Mal laut, als sie sich einer Treppe näherten. "Da, nach oben!"
"Steve!" rief Arton jetzt gezielt. "Steeeveee!"
Bippy ging voraus, damit das Energieherz ihnen den Weg erhellen konnte. Sie gingen Mattys Nase nach, und gelangten in einen fast leeren Raum. Und dann zuckte Matty stark zusammen und huschte entsetzt in die Brusttasche von Artons Hemd. Sie wagte kaum, aus der Tasche hinauszusehen.
"Was ist denn, Liebchen?" fragte Arton, der Mattys Entsetzen spüren konnte. Ihr Herz pochte wie wild, und ihre kleinen Hände zitterten. Die Barthaare vibrierten und standen starr ab.
"Ich kenne diesen Raum! Da, das war das Gefängnis, in dem ich mit Mami und Steve gewohnt habe, bis ich weggeholt wurde."
Eine tiefe Traurigkeit überwältigte sie. Der Käfig lag zerbeult am Boden, das alte Futter vergammelt auf dem Teppich verstreut. Sie schluchzte fiepend, von Schmerz überwältigt. Sie konnte Steve und ihre Mutter noch riechen. Ganz leicht nur, doch die Erinnerungen überwältigten sie. Wieder sah sie das Bild vor Augen, als Steve von den anderen Geschwistern weggedrängt wurde. Er hatte solchen Hunger, das er quietschte. Sie erinnerte sich, wie sie ihn mit den Händen an sich herangezogen hatte.
"Ich kann ihn riechen. Aber er ist fort..." Ihre Stimme klang hoffnungslos.
"Es ist nichts verloren, Matty," sagte Bippy. Er bot ihr die Hände dar, damit sie sich zu ihm gesellen konnte. Sie kletterte in die geöffneten Handflächen und sah ihm direkt ins Gesicht. "Der Schlitten wird den Weg finden, denn du hast die erste Spur jetzt aufgenommen. Du trägst es jetzt in dir. Hab' nur Mut!" Er lächelte sie an. Die Güte und Freundlichkeit, die in seinen Augen lagen, gaben Matty wieder Kraft.
"Ist gut. Dann suchen wir jetzt weiter?"
Bippy nickte resolut: "Natürlich! Jetzt geht's erst richtig los!"
"Aber ganz sicher!" ergänzte Arton. Er hielt Matty die Schulter hin, auf die sie kletterte, und die drei kehrten zum Schlitten zurück.



11. Klar kann ich euch sehen!

Bippys Flugstil hatte sich mittlerweile fast pefektioniert: sie glitten ruhig und stetig dahin, und auch wenn es mal kurzzeitig ruckelte, wurde die Reisegesellschaft bei Weitem nicht mehr so heftig durchgeschüttelt wie noch zu Beginn.
Der Nachthimmel war durchzogen von zuweilen bunt glitzernden Sternen, die wie seltene Edelsteine kurz erstrahlten und wieder verblassten. Matty und Gigi kamen aus dem Staunen kaum noch raus. Beide waren ein wenig zur Ruhe gekommen, und wenn die Fahrt sanft dahinglitt und sie den Blick von den funkelnden Schönheiten des Firmaments abwenden konnten, schmiegten sie sich dann und wann aneinander.
Nach einer langen Weile senkte sich der Schlitten wieder gen Boden. Nun wurde Matty erneut nervös und kletterte über die Strebe schon zu Arton, um sich in dessen Hemdtasche niederzulassen. Arton lächelte unter seinem mächtigen Bart und streichelte Mattys Kopf.
"Diesmal gehen wir aber mit!" sagte Frank bestimmt, und stupste Gigi mit seinem Ast-Arm. Das piekste einerseits, aber kitzelte auch. Gigi nickte:
"Ist gut, das machen wir."
Da sie nun wusste, das sie in verantwortungsvoller und vertrauenswürdiger Gesellschaft war, schien ihre Angst wie verflogen.
Der Schlitten setzte auf dem Boden auf. Die Reisenden stiegen aus, und während sie sich streckten und reckten, sahen sie sich um: in dieser Straße standen nicht nur viele kleine Häuser, sondern tatsächlich hie und da noch einige Bäume. Alles war unter einer glänzenden Schneedecke versteckt und bot einen fast lauschigen Anblick.
"Herrlich!" freute sich Frank und hüpfte im Schnee umher.
"Keine Zeit jetzt zum Spielen!" mahnte Bippy streng. Frank hielt augenblicklich in seiner Bewegung inne und sah betreten zu Boden.
" 'Tschuldigung, du hast ja recht. Ich hab' mich nur so gefreut, endlich wieder in meinem Element zu sein... "
Selbst Matty, trotz ihrer Aufgeregtheit, musste lächeln.
"Bald," sagte Bippy und nickte zuversichtlich, "hast du so viel Schnee, wie du nur brauchst, mein Freund."
Franks Rübennase wackelte vor Freude, und einen Moment schien es, als laufe ein Strahlen durch seine Kohleaugen.
"Hier entlang, dieses Haus ist es," sagte Bippy und deutete auf das Haus auf der anderen Straßenseite. Durch eines der Fenster drang ein leiser Schimmer nach draußen.
"Es scheint jemand da zu sein," sagte Matty. "Was nun?"
Bippy fasste in eine seiner Manteltaschen und zog ein hellgrünes Beutelchen heraus. Mit einer kleinen, knappen Bewegung streute er das magische Pulver in die Luft, das es auf sie herabfallen konnte. Und dann - wie seltsam! - befanden sie sich plötzlich im Haus! Gigi und Matty erschraken, und Frank fiel vor Schreck sein Hut vom Kopf.
"Was ist passiert?" flüsterte Gigi.
"Niemand wird uns sehen oder hören, denn unsere Zeit läuft anders. Aber das ist etwas, das ich euch nachher in Ruhe erklären kann. Nun wollen wir erstmal nach Steve suchen!" antwortete Bippy mit leisem und entschlossenem Ton zugleich.
Alle nickten. Sie gingen nur ein paar Schritte, dann konnten sie den Grund für den sanften Schein, den sie von draußen gesehen hatten, ausmachen: ein Kamin, in dem ein kleines Feuerchen vor sich hinloderte. In einem dunkelgrünen Sessel ruhte eine ältere Dame, die scheint's über ihrer Strickarbeit eingeschlafen war.
Frank blieb im Flur stehen.
"Mir ist es hier zu warm. Ich hab' Angst, das ich schmelze," flüsterte er.
"Du wirst nicht schmelzen, Frank," lachte Arton. "Das geht nicht mehr. Du bist schon lange nicht mehr aus Schnee."
"Das stimmt," bestätigte Bippy.
"Trotzdem... " sagte Frank mit einem leicht verängstigten Unterton in der Stimme.
Die anderen vier näherten sich langsam der schlafenden Frau. Ihre von grauen Strähnen durchzogenen, hellen Haare waren in einem Knoten auf dem Kopf zusammengebunden.
"Das Mensch kann uns wirklich nicht hören?" fragte Matty wispernd.
"Nein, wirklich nicht," sagte Bippy lachend.
Matty reckte sich weit nach vorne und konnte nicht widerstehen, auf die schlafende Dame zu springen. Sie kletterte über sie drüber und beschnupperte sie, den Sessel und die Wolle, die sie noch immer um die Finger gewickelt hatte. Und dann - ganz plötzlich! -, als Matty ihr Gesicht berührte, öffnete sie die Augen.
"Was... ? Wer... ?" Die Dame klang ein wenig verschlafen, doch sie wurde wach. Sie erspähte zuerst Arton, sah ihn fest an, dann Bippy, den sie mit einer hochgezogenen Augenbraue von oben bis unten anblickte, dann Matty, die eilends wieder in Artons Brusttasche verschwand. Schließlich erblickte sie auch Gigi, die sich hinter Bippy zu verstecken suchte, doch deren vor Neugier aufgestellte Ohren verräterisch abstanden.
"Wer seid ihr? Und was macht ihr hier?"
"Du kannst uns sehen?" fragte Bippy erstaunt. Er war so verwundert, das er sogar seinen Hut abzog, um sich am Kopf zu kratzen. "Das ist völlig unmöglich!"
Die Dame setzte sich aufrecht hin, legte das Strickzeug auf den kleinen Tisch neben dem Sessel und entgegnete:
"Mein lieber Junge, ich habe schon so viele unmögliche Dinge gesehen in meinem Leben, das kannst du gar nicht glauben!"
Einen Moment herrschte Stille, in der sich alle verblüfft anstarrten.
"Ich heiße Charlotte," brach die Dame endlich die Stille. "Aber nennt mich Lotti!"
Die kleine Gemeinschaft - und man kann hier den Begriff 'klein' doch wortwörtlich nehmen - stelle sich reihum vor.
"Kann ich euch etwas anbieten - vorausgesetzt, ihr seid keine Einbrecher!" Dabei zwinkerte Lotti den schier baffen Besuchern zu. "Ich habe noch Kuchen mit Kirschen und auch einen mit Äpfeln."

Selbst Frank hatte sich am Esstisch in der Küche niedergelassen. Hier war es nicht so warm wie im Wohnzimmer, und er fühlte sich in der Nähe des Kühlschranks sichtlich wohler. Matty und Gigi saßen auf dem Tisch, und Lotti schnitt die Kuchen für sie in kleine Stücke.
"Was genau wollt ihr denn nun in meinem Haus?" fragte Lotti, während sie einen Kessel auf den Herd stellte, um sich Teewasser zu kochen.
Matty sprudelte heraus:
"Wir suchen mein Brüderchen Steve. Der Schlitten hat uns hierher gebracht. Er muss also hier gewesen sein!"
"Das ist gut möglich. Aber gesehen habe ich ihn nicht."
"Ich frage mich," sagte Arton mampfend, und einige Kuchenkrümel hingen ihm im Bart, "wieso du uns sehen kannst."
Lotti seufzte schwer, goss das heiße Wasser in ihre Tasse, nippte am Tee und sagte:
"Vielleicht erschließt es sich euch, wenn ich von mir erzähle?"
Arton nickte: "Dann los! Wir sind ganz Ohr!"

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